Aktuelle Rechtsprechung: Klärung der Frage des Ausgangspunkts der Verjährungsfrist für Ansprüche aus mangelhaften Produkten

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In einem Urteil vom 27. November 2019, das große mediale Aufmerksamkeit erhielt, hat die Erste Zivilkammer des französischen Kassationsgerichts eine wichtige Klärung hinsichtlich der Frage des Ausgangspunkts der Verjährungsfrist für Ansprüche aus mangelhaften Produkten vorgenommen.

Das Urteil betrifft einen Informationsmangel in Bezug auf das Medikament Dépakine (Natriumvalproat), ein Arzneimittel des Pharmakonzerns Sanofi-Aventis, dessen Nebenwirkungen unter anderem die Ursache für fetale Missbildungen (teratogenes Risiko) sein können. In diesem Zusammenhang wurde am 3. Februar 2020 Anklage wegen schwerer Täuschung und fahrlässiger Körperverletzung gegen den Konzern erhoben.

Im vorliegenden Fall wurde eine Frau, die an einer Epilepsieerkrankung litt, mit dem genannten Medikament behandelt, und die Behandlung trotz einer geplanten Schwangerschaft fortgesetzt. Ende des Jahres 2002 brachte sie ein Kind zur Welt, das unter einem Fehlbildungssyndrom litt. Nachdem ein Sachverständigenbericht, der fast neun Jahre später fertiggestellt wurde, eine genetische Erkrankung oder eine Chromosomenanomalie als Ursache der Fehlbildungen ausschloss, und im Gegenteil einen Zusammenhang zwischen diesen und der Einnahme des Medikaments herstellte, klagten die Eltern gegen den Pharmakonzern.

Das Berufungsgericht in Orléans stellte die Haftung des Pharmaunternehmens – und diese Entscheidung wurde nun durch das Kassationsgericht bestätigt – auf Grundlage der Regelungen für mangelhafte Produkte fest, und zwar aufgrund der Tatsache, dass die Packungsbeilage keine Informationen dazu beinhaltete, dass die möglichen Nebenwirkungen des Medikaments ein teratogenes Risiko von besonderer Schwere umfassen, und dies, obwohl das Risiko in der medizinischen Literatur zu jener Zeit bereits beschrieben wurde (die Packungsbeilage rief Patientinnen lediglich dazu auf, im Fall einer Schwangerschaft oder eines vorliegenden Schwangerschaftswunsches, ihren behandelnden Arzt zu informieren und das Neugeborene „aufmerksam zu beobachten“).

Von besonderem Interesse ist hier, dass der Pharmakonzern dagegen Beschwerde einlegte, dass das Gericht geurteilt hatte, dass der Anspruch der Kläger nicht verjährt sei.

Zur Erinnerung: Gemäß den Regelungen für mangelhafte Produkte verjähren Haftungsansprüche „nach einer Frist von drei Jahren ab dem Zeitpunkt, an dem der Kläger Kenntnis vom Schaden, dem Mangel und der Identität des Herstellers hatte oder gehabt haben müsste“ (vormals Artikel 1386-17 des frz. Zivilgesetzbuchs, heute 1245-16 des frz. Zivilgesetzbuchs).

Im vorliegenden Fall wäre es somit notwendig, den genauen Zeitpunkt zu bestimmen, an dem die Kläger Kenntnis vom Schaden, Mangel (und notwendigerweise auch von der Verbindung zwischen diesen) sowie der Identität des Herstellers hatten.

Konkret machte das Pharmaunternehmen geltend, dass die Eltern bereits am Tag der Geburt ihres Kindes im Jahr 2002 von allen drei Punkten Kenntnis besaßen, oder spätestens wenige Wochen später, als drei Ärzte die Hypothese eines Zusammenhangs zwischen den Fehlbildungen und der Einnahme von Dépakine aufstellten. Ihre Klage, die sie im Jahr 2013 eingereicht hatten, wäre somit, der Klägerin im Berufungsverfahren zufolge, bereits lange verjährt.

Das Kassationsgericht folgt dieser Argumentation nicht und bestätigt die Entscheidung des Berufungsgerichts darin, dass dieses das Rechtsmittel der Nichtzulässigkeit abgewiesen hatte.

Da der Mangel des Medikaments in Verbindung mit einem Informationsmangel in dessen Beipackzettel steht, urteilt das Gericht, dass die Verjährungsfrist erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnen konnte, ab dem die Kläger „wussten oder hätten wissen müssen, dass ihnen die Information fehlte, die besagt, dass Dépakine […] teratogene Folgen verursachen konnte“. Jedoch konnten sie diese Information dem Gericht zufolge erst in ausreichend greifbarer Form erlangen, als der Sachverständigenbericht im Jahr 2011 eingereicht wurde, d.h. weniger als drei Jahre vor Einreichung ihrer Klage, die somit nicht verjährt war.

Mit diesem Urteil bestimmt das Kassationsgericht die „Kenntnis“ vom Mangel und von dessen Verbindung mit dem Schaden durch den Kläger somit anhand des Informationsstands, der dem Kläger zugänglich ist. Diese Kenntnis darf nicht rein hypothetisch sein, sondern muss hinreichend greifbar oder sogar sicher sein, was eine erhebliche Verschiebung des Ausgangspunkts der Verjährungsfrist zur Folge haben kann.

Das Urteil hat somit eine große Reichweite, insbesondere hinsichtlich Haftungsansprüchen aufgrund mangelhafter Produkte im Zusammenhang mit iatrogenen Erkrankungen, für die eine Diagnosefindung normalerweise mehrere Jahre dauert.

 

Aymeric François                                                                                          10. März 2020